Kinder und Jugendliche trauern anders
Ein Trauerfall in der Familie ist eine schwierige Zeit für alle Betroffenen. In ihrer eigenen Trauer fehlt Angehörigen häufig der Blick für alle Mitglieder der Familie. Doch besonders Kinder und Jugendliche brauchen umfassende Hilfe. Hier bietet der Fuchsbau des Hospizdienstes „Aufgefangen“ eine umfassende Trauerbegleitung für betroffene Kinder und Jugendliche an. HELP sprach mit Maria Bernarding, der Leiterin des ambulanten Hospizdienstes.
Frau Bernarding, vielen Dank, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Was ist der Fuchsbau und was bieten Sie dort konkret an?
Der Fuchsbau ist ein offenes Angebot für trauernde Kinder und Jugendliche. Die Kinder haben eine Anlaufstelle für alle Gefühle, die der Verlust in ihnen auslöst, haben aber auch einen Ort, an dem sie unbeschwert und fröhlich sein dürfen. Sie werden von geschulten Erwachsenen in ihrer Trauer begleitet und haben die Möglichkeit, den Trauerprozess individuell und kreativ zu gestalten und zu verarbeiten. Für die Kinder gibt es keine zeitliche Begrenzung. Sie dürfen das Angebot so lange wahrnehmen, wie es ihnen gut tut.
Warum ist Trauerbegleitung für Kinder so wichtig?
Die Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche ist besonders wichtig, weil diese Zielgruppe in ihrer Trauer oft übersehen wird. Die Erwachsenen sind oft in ihrem eigenen Schmerz gefangen und mit ihrer Verlusterfahrung überfordert. Die Kinder nehmen sich mit ihrer eigenen Trauer zurück, weil sie keine zusätzliche Belastung für ihre Angehörigen darstellen wollen. Deshalb brauchen sie einen geschützten Raum, der ihnen die Möglichkeit gibt, mit all ihren Gefühlen im Mittelpunkt zu stehen und dabei ohne Rücksicht auf Familie die eigenen Bedürfnisse ausleben zu können.
Wie trauern Kinder? Unterscheidet es sich sehr von der Art, wie Erwachsene trauern?
Im Gegensatz zu Erwachsenen trauern Kinder punktuell. Sie springen in Pfützen der Trauer, verweilen dort für eine Zeit, und springen genau so spontan aus dieser Pfütze heraus, um wieder im Hier und Jetzt zu sein und sich mit den Dingen zu beschäftigen, die im Moment für sie wichtig sind (Fußball spielen, in die Disco gehen, Freunde treffen…).
Was können die Kinder und Jugendlichen im Fuchsbau über das Trauern lernen?
Je früher Kinder erfahren, dass das Leben endlich ist, umso eher können sie einen gesunden Umgang mit Tod und Trauer lernen. Kinder erleben im Umgang mit betroffenen Erwachsenen oft, dass sie auf einem Abschiedsprozess nicht mitgenommen werden. Die Themen Tod und Trauer werden ausgegrenzt, dem Kind wird oft kein eigener Abschied zugestanden, weil es vor diesen schweren Themen geschützt werden soll. Im Fuchsbau erfahren die Kinder, dass Trauer keine Angst macht, wenn man sie zulässt und mit aushält, weil sie zum Leben dazu gehört. Die Kinder spüren, dass sie akzeptiert werden mit allen Gefühlen, die sie mitbringen, und dass diese Erfahrung hilfreich für ihren Trauerprozess ist. Kinder und Jugendliche lernen auch, sich gegenseitig anzunehmen, empathisch miteinander umzugehen und einander zu respektieren in ihrer Unterschiedlichkeit. Das sind elementare Werte, die einen wertschätzenden Umgang miteinander fördern und das eigene Selbstwertgefühl auf gesunde Art und Weise stärken. Diese Werte werden in unserer Gesellschaft oft übersehen oder nachrangig behandelt. Würde man in unsere Gesellschaft die Themen um Tod und Trauer nicht ausgrenzen, würden Menschen bewusster und intensiver leben und die Berührungsängste zu Sterbenden und Trauernden wären wesentlich geringer, bzw. ganz aufgehoben. Damit würde man diesen Menschen viel zusätzliches Leid ersparen!
Gibt es regelmäßige Aktivitäten, die Sie im Fuchsbau anbieten?
Der Fuchsbau bietet momentan vier verschiedene Gruppen an, in denen Kinder und Jugendliche gemeinsam eine Zeit in unserem Lebenshaus verbringen. Bei jedem Treffen gibt es ein Ankunfts- und ein Abschiedsritual und einen Impuls zum Thema Trauer, der mit unterschiedlichen kreativen Angeboten bearbeitet werden kann. Alle Angebote sind freiwillig, so dass die Zeit auch zum freien Spiel etc genutzt werden kann.
Zu den Angeboten zählen z.B.:
- Besuch des Therapiepferdes J.J. in unserem Garten. Dieses Pferd kann bemalt, geritten und gestreichelt werden.
- Diverse Bastelaktionen: Ein Licht für das Grab des Verstorbenen gestalten, Wut- oder Freudebälle herstellen, Collagen mit Fotos des Verstorbenen basteln, Raketen mit Wünschen für die Verstorbenen in die Luft schießen, Kekse backen, Briefe an die Verstorbenen schreiben, Erinnerungsschatzkisten uvm.
Wie nehmen Eltern die Unterstützung für ihre Kinder an?
Eltern fühlen sich durch unser Angebot sehr entlastet und erleichtert. Sie spüren, dass sie durch ihre eigene Trauer so belastet sind, dass sie den Kindern in deren Trauer nicht so gerecht werden können, wie sie sich das wünschen. Dazu kommt die eigene Unerfahrenheit im Umgang mit Trauer und das Informationsdefizit darüber, was Trauern eigentlich bedeutet und welche Symptomatik sie mit sich bringen kann. Die Eltern sind sehr dankbar über das bestehende Angebot, weil sie erfahren, dass es ihren Kindern hilft und ihnen selbst die Möglichkeit gibt, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
Das anfangs ehrenamtlich durchgeführte Angebot FUCHSBAU erfährt eine so hohe Nachfrage, dass die Einstellung einer Fachkraft erforderlich wurde. HELP unterstützt den FUCHSBAU seit März 2017 mit einer Teilübernahme der entstandenen Personalkosten.